Kirsten Otto
Berlins verschwundene Denkmäler
Eine Verlustanalyse von 1918 bis heute
Lukas Verlag, 2020
Die an „unsere gefallenen Helden“ erinnernden
Kriegerdenkmale werden zunehmend mit Befremden wahrgenommen, nicht
zu sprechen von ganzen historischen Denkmalslandschaften, die,
ideologisch wie künstlerisch fragwürdig, nach Revision, wenn nicht
Entrümpelung, verlangen. Good bye Lenin ist leicht gesagt, doch
wohin mit den vom Sockel gestoßenen Standbildern?
Die vorliegende Arbeit diskutiert jenseits von
äußeren Verlusten durch Krieg, Diebstahl oder Vandalismus die
Alternativen des Umgangs mit ausgemusterten Denkmalen. Die
entsprechenden Stichworte sind: verwahren, verbergen, vernichten
oder wiederverwenden. Aufschlussreich ist da der der Versuch der
Westberliner Verwaltung die Reste der von Kaiser Wilhelm II. im
Tiergarten initiierten Siegesallee zu entsorgen bzw.
unterzubringen. Zahlreiche Figuren, dieser schon bei ihrer
Entstehung von den Berlinern bespöttelten und von Kunsthistorikern
als peinlich empfundenen preußisch-brandenburgischen Ahnenreihe,
hatten den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs überstanden. Sie
wurden zunächst hinter dem Schloss Bellevue gelagert. Mit dem Ausbau
des Schlosses zum Amtssitz des Bundespräsidenten mussten sie weichen
und wurden in einer nächtlichen Aktion im Schlossgarten vergraben.
Damit verschwanden sie für gut zwanzig Jahre aus der öffentlichen
Wahrnehmung. Ende der 70er kamen die wieder ausgegrabenen Figuren in
einem Lapidarium unter, das in dem ehemaligen Pumpwerk am
Landwehrkanal eingerichtet wurde. Nach seiner Schließung, 2010,
fanden die ungeliebten Figuren ihre vorerst letzte Zuflucht in der
Zitadelle Spandau.
Lapidarien wie auch die Verwendung von Teilen
größerer Denkmalsensembles, vor allem von Tiermotiven, zur
Möblierung der Stadt sind ohne Hinweis auf den
Entstehungszusammenhang der Werke eher eine Verlegenheitslösung.
Geeignetere Orte, um aus der Zeit gefallene Denkmale als
Zeitdokumente oder Kunstobjekte zu würdigen und sie der
wissenschaftlichen Befassung zu erhalten, wären neben Museen und
thematischen Ausstellungen Denkmalfriedhöfe, wie sie in anderen
Städten – Budapest, Moskau – bereits existieren. Mit entsprechenden
historischen und künstlerischen Konzepten ließen sich so Beiträge
zur Volksbildung mit der Gewinnung neuer städtischer Erlebnisräume
verbinden.
Kirsten Otto stößt mit ihrer Dissertation eine
wichtige Diskussion um Erhaltung und Veränderbarkeit der Berliner
Denkmallandschaft an und der an ihr ablesbaren ideologischen und
kunstgeschichtlichen Brüche. So ist die Ostberliner Situation zu
DDR-Zeiten durch den Spagat zwischen Entmilitarisierung/Entpreußifizierung
und der „Preußen-Renaissance“ gekennzeichnet, während der die
Standbilder der Generäle der Befreiungskriege, Friedrichs des II.
und anderer namhafter Preußen in das Stadtbild zurückkehrten.
In jedem Fall trifft die ästhetische und inhaltliche Botschaft der
steinernen und ehernen Monumente auf ein Stadtbild in Bewegung und
einem entsprechend widerspruchsvollen Nachhall in der Gesellschaft.
Die in den letzten hundert Jahren erlittenen Denkmalverluste der
Stadt sind demzufolge nicht nur auf ihr Schleifen oder ihre
Zerstörung zurückzuführen. Im Fall der Siegessäule, dem Stein
gewordenen Triumph Preußens über Frankreich, die nicht, wie von der
französischen Besatzungsmacht gefordert, geschleift wurde, ist gar
das einschlägige Reaktionsmuster zwischen Siegern und Besiegten
außer Kraft gesetzt worden.(ak)