Wolfgang
Benz (Hg.)
Handbuch des Antisemitismus
Judenfeindschaft in Geschichte
und Gegenwart
Band 7: Literatur, Film, Theater und Kunst
De
Gruyter, 2015
Ist
Wilhelm Busch ein klassischer Antisemit, sind, wie Golo Mann vorschlägt,
nur manche seiner Gedichte und Bildergeschichten ein klein bißchen antisemitisch oder ist er gar einer, der, etwa in
Die fromme Helene, den
Antisemitismus der deutschen Kleinbürger aufs Korn nimmt? So wie
die Werke Buschs sind auch die der Gebrüder Grimm auf dem Prüfstand.
Das Märchen Der Jude im Dorn, in dem sich die Grimms unter zwei Varianten –
diebischer Mönch und ebensolcher Jude – für die zweite mit den
entsprechenden verleumderischen Zuschreibungen entscheiden, ist seit
1815 in allen Ausgaben der Kinder-
und Hausmärchen zu finden und wurde erst nach 1945 aussortiert.
In Bänkelsang und mittelalterlichem Passionsspiel, in Volksfrömmigkeit
und Kirchenkunst, in den Heiligengraber Hostienfrevelbildern wie in
den Altarbildern Luca Signorellis, in den Karikaturen des Internationalen-Holocaust-Karikaturen-Wettbewerbs der iranischen
Zeitung Hamshahri wie in
den Judenspottkarten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, in
Dichtung, Theater und Kunst seit dem Mittelalter wie in den Film-
und Fernsehproduktionen des 20. und 21. Jahrhunderts gehen die mehr
als hundert Autoren des Bandes den Spuren des Jüdischen und seiner
Verleumdung nach. Dabei werden auch Werke vorgestellt, die, wie Das
Judengrab von Ricarda Huch oder E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen Klein Zaches, genannt Zinnober, der Vorwurf der Judenfeindlichkeit
nicht trifft.
Das gewaltige Arbeitsgebiet wird mit etwa 300 Stichworten
erschlossen, darunter die Deggendorfer
Gnad, eine für die niederbayrische Stadt und die Kirche äußerst
einträgliche, noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts
durchgeführte Wallfahrt, die ihren Ursprung in einem Judenpogrom
des 14. Jahrhunderts hat, das im Nachhinein als Rache für einen jüdischen
Hostienfrevel ausgegeben wurde. Oder das Endinger
Judenspiel im Badischen, das einen angeblichen jüdischen
Ritualmord und seine Aufklärung in Szene setzte. Neben solch fast
exotisch anmutenden historischen Spuren, die aus dem Spätmittelalter
herüberreichen, beeindrucken besonders die vergessenen oder verdrängten
Zeugnisse mit direktem Bezug zum Nationalsozialismus. Der
Herr Karl, ein Theaterstück von Carl Merz und Helmut
Qualtinger, das die Figur des Mittläufers und Mitttäters
ausleuchtet, hatte als Fernsehaufzeichnung, die am 15. November 1961
über 1,9 Millionen österreichische Bildschirme flimmerte eine
stupende Wirkung, die der Kritiker Hans Weigel in die Worte fasste: Der
Herr Karl wollte einem Typus auf die Zehen treten und ein ganzes
Volk schrie Au! Noch dichter an der NS-Zeit entsteht 1948/49
Josef von Bákys Film Der Ruf,
den Fritz Kortner, Hauptdarsteller und Drehbuchschreiber, als Aufschrei
verstanden wissen wollte, der nach Kampfgefährten
gegen neue antisemitische Tendenzen suchte.
Während
sich die Mehrzahl der inhaltlichen Stichworte auf konkrete Werke
richtet – die Father-Brown-Erzählungen
Gilbert K. Chestertons, Goethes Des
ewigen Juden erster Fetzen, Levins
Mühle von Johannes Bobrowski, die Filme Leni Riefenstahls,
Rainer Werner Fassbinders Der
Müll, die Stadt und der Tod oder einzelne antisemitische
Bildthemen der Kirchenkunst – , sind andere Stichworte größeren,
kursorisch dargestellten Sachgebieten gewidmet, z.B. der
Nationalsozialistischen Kunstpolitik, der Norwegischen
Kriminalliteratur, dem Jud Süß in der Literatur, den Schwedischen
Kinoproduktionen oder den Jesusfilmen. Mit seinem Personenregister
und dem Register der Orte und Regionen erweist sich der knapp 600
Seiten starke Band als überaus nützliches Handbuch. (ak)
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