Helmut Reuter, Birgit Schulte
(Hg.)
Mies und das Neue Wohnen.
Räume - Möbel - Fotografie
Der großen Entwurfszeit zwischen 1927
und 1931, in der Ludwig Mies van der Rohes legendäre,
linienzugförmige Stahlrohr- und Flachstahlmöbel entstanden,
gehen 20 Jahre in seinem Werk voraus, aus denen es zum Thema
Möbelentwürfe kaum Nachrichten gibt. Mies hat die Unterlagen, die
einen Einblick in die Möblierung der Gebäude aus seiner
konventionellen Werkphase geben könnten, bewusst vernichtet. Ähnlich
wie aus seinem architektonischen Werk wählte er aus seiner
Möbelproduktion die Stücke und Phasen aus, denen in seinem
Gesamtwerk kanonische Bedeutung zukommt. Vier Produktionsanlässe
lassen sich unterscheiden: die Werkbundausstellung in der
Weißenhofsiedlung in Stuttgart, 1927, der Deutsche Pavillon auf der
Internationalen Ausstellung in Barcelona, 1929, die Villa Tugendhat
in Brünn/Brno, 1930 und die Berliner Bauausstellung, 1931.
Alle diese Anlässe hatten eigene charakteristische Möbelschöpfungen
zur Folge. Bezwingend wird die Entwicklung des berühmten
Freischwingers geschildert, der als Gemeinschaftswerk startet,
an dem Marcel Breuer und Mart Stam ihren Anteil hatten, aber
schließlich im Zusammenfinden von künstlerischer Intuition und
handwerklich-technischer Lösung dennoch wie eine Mies’sche
Offenbarung erscheint. Aus einer zunächst denkbar uneleganten und
insgesamt sehr aufwendigen Weise, Leder und Stahlrohr zu
verbinden, wird schließlich eine anthropomorphe Plastik mit
einer unerreichten formalen und funktionalen Einheit. Das Möbelstück
wird als latente, im System ruhende Spannung, als
harmonisches Zusammenspiel gegenläufiger Kräfte, die in
unnachahmlicher Weise Dynamik und Ruhe vereinen gefeiert.
Der Band untersucht in verschiedenen Beiträgen auch den Anteil, den
die Designerin Lilly Reich an der mehr als zehnjährigen engen
Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe hatte. War sie Mitarbeiterin
oder Beraterin, Miturheberin oder auch alleinige Urheberin? Welche
Stücke stammen zweifelsfrei von ihr? Mies scheint nach dem Tod Lilly
Reichs, 1947, kaum etwas unternommen zu haben, um diese Fragen zu
klären.
Neben den Möbelentwürfen sind die Fotografien, die im Berliner
Atelier Mies van der Rohes, Am Karlsbad 24, verwendet wurden, einer
der Schwerpunkte des schönen, ebenso reich wie schlicht mit
Entwurfszeichnungen und vorwiegend schwarzweißen Fotografien
ausgestatteten Bandes.
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