Joseph Roth
Heimweh nach Prag.
Feuilletons, Glossen, Reportagen
für das Prager Tagblatt
Herausgegeben und kommentiert von Helmuth
Nürnberger
Wallstein Verlag, 2012
Er habe nur eine literatenhafte Vorstellung von Prag,
kritisiert eine Zeitungsredaktion den Dichter, eine Vorstellung von
etwas, von dem man keine Anschauung hat. Roth selbst nennt das
moderne Prag eine Stadt, in der ich niemals zu Hause war und in
der ich jeden Augenblick zu Hause sein kann. Der 1924
geschriebene Artikel, der diesem Band seinen Titel gibt, beschäftigt
sich folgerichtig auch gar nicht mit Prag und auch nicht mit Paris,
dem Roths ganze Sehnsucht gilt, sondern mit einem Ort, der einem
Bahnhofswartesaal oder einer Ansammlung solcher Wartesäle gleicht
und deshalb das Heimweh nach Prag und die Sehnsucht nach Paris
hervorruft. Es handelt sich um Berlin.
Es ist schwer zu entscheiden, ob der Dichter Kosmopolit oder einfach
heimatlos war. Zweifellos hatte er ein besonderes Verhältnis zu den
ostgalizischen Orten seiner frühen Jahre. Dem von russischen,
polnischen, rumänischen, deutschen und jiddischen Klängen
widerhallenden Lemberg – Die Stadt ist ein bunter Fleck … Ich
wüsste nicht, wem das schaden könnte – ist das vielleicht
schönste Stadtporträt dieser Sammlung gewidmet. Aber auch Paris
kommt nicht zu kurz, immerhin sah Roth sich selbst als Franzose
aus dem Osten.
Nach den fünf Jahren von 1920 bis 1925 in der ungeliebten deutschen
Hauptstadt schickt die Frankfurter Zeitung ihren Starjournalisten
nach Paris, allerdings nur für ein Jahr, eine große Kränkung für
Roth. Hier entsteht die zauberhafte Schilderung eines Nachtclubs auf
dem Montmartre, eines Ortes, der dem Pariser Hotel des letzten
Artikels aus dem Jahr 1937 verwandt ist, beides herb-süße Orte eines
Kosmopoliten oder Heimatlosen.
Nach dem 2010 erschienenen Feuilletonband „Ich zeichne das Gesicht
der Zeit“ dokumentiert Helmuth Nürnberger mit diesen 174 Arbeiten
für das Prager Tagblatt, der meist gelesenen, deutschsprachigen
Zeitung im Habsburgischen Kaiserreich außerhalb Wiens, erneut in
einem kompakten 640 Seiten starken Band den politisch hellsichtigen,
mit untrüglichem sozialen Instinkt ausgestatteten, poetischen
Journalisten Joseph Roth. (ak)
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