Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer, Philipp
Misselwitz
Urban Catalyst
Mit Zwischennutzungen Stadt entwickeln
Dom Publishers, 2013
Die Kreativität des Augenblicks nutzen, sich von
der Leere inspirieren lassen, den Strömen des Lebens folgen, wären
andere mögliche Überschriften dieses ungemein interessanten,
inhaltlich wie formal gelungenen Manuals über den Umgang mit
desintegrierten oder weitgehend undefinierten Gebäuden und
öffentlichen Flächen. Nicht Architekten oder Planungsbehörden haben
in diesen Fällen die Definitionsmacht und bestimmen die Nutzung,
sondern, wie am Beispiel des Arizona Marktes in Belgrad erläutert,
übernehmen etwa Frauen die Initiative, die an einem
Verkehrsknotenpunkt mit dem Verkauf von Gemüse und Selbstgestricktem
aus der Hand den ersten Schritt tun. Die Errichtung von Kiosken,
Ladenzeilen bis hin zu kleinen Einkaufszentren folgt dieser selbst
organisierten, spontanen Aktivität der Frauen. Können diese
Entwicklungen ermöglicht oder auch durchgesetzt werden, bringen sie
eine Frische und Kreativität in die Stadtentwicklungsdiskussion, von
der selbst Verwaltungsbeamte fasziniert sind.
Manche der vorgestellten Projekte überwinden
punktuell den kommerziell-kapitalistischen Alltag, wie die
Wächterhäuser in Leipzig, die von dem gemeinnützigen Verein
HausHalten e.V. betreut werden. Ihre Nutzung wird, über die
Erfahrungen früherer Hausbesetzer hinausgehend, möglich, weil
Hausnutzer und Hausbesitzer ihr gemeinsames Interesse am
Erhalt der Häuser entdeckt und zum vorläufigen Hauptzweck gemacht
haben. Eine Typologie der Zwischennutzungen formulieren die Autoren
entlang einer Reihe von Stichworten. Lückenbüßer, Nomade, Impuls,
Konsolidierung, Koexistenz, Parasit, Pionier, Subversion und
Auslagerung kennzeichnen den besonderen Aspekt des temporären
Zugriffes auf Land oder Haus. Die entsprechenden Beispiele finden
sie in München, Helsinki, Belgrad, Kiew, Amsterdam und häufig in
Berlin.
Die Initiatoren des Forschungsprojektes Urban Catalyst
beobachten und bewerten das Potential dieser informellen Prozesse
für die Stadtentwicklung seit zehn Jahren. Im Schlussteil des Buches
diskutieren sie Strategien oder Haltungen, die das Verhältnis
der die Zwischennutzungen tragenden oder begleitenden Akteure zum
Ungeplanten und seiner Integrationsfähigkeit in das offizielle
Planungsgeschehen kennzeichnen. Drei dieser Strategien,
ermöglichen, initiieren, coachen, legen eine Unterstützung
und Begleitung der Zwischennutzung durch Vereine, Verwaltungen, oder
andere Mediatoren nahe und werden durch Beispiele aus Wien, Basel,
London, Rom und Magdeburg belegt. Dagegen deuten formalisieren
und instrumentalisieren, mit Beispielen aus Berlin,
Müritz und Amsterdam, darauf hin, dass das Temporäre und Ungeplante
des Prozesses bereits zu einem Abschluss gekommen ist. Eine weitere
Strategie, die wegen ihrer Kompromisslosigkeit nicht in diese Reihe
zu passen scheint, heißt erobern. Sie wird exemplarisch durch
die zeitweise von 1500 Menschen getragene kollektive
Wunschproduktion des Park Fiction in Hamburg St.Pauli und die als
Festival „Volkspalast“ gefeierte Zwischennutzung des ehemaligen
Palastes der Republik in Berlin illustriert.
Das Buch leistet einen hervorragend dokumentierten Aufriss der die
Stadtentwicklung dynamisierenden und neu akzentuierenden Prozesse,
die mit dem Thema der Zwischennutzungen verbunden sind, seien sie
ökonomischen, kulturellen oder Umweltthemen gewidmet. Entsprechend
dürfte seine potenzielle Leserschaft weit über den engen Kreis der
Fachleute hinausgehen. (ak)
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